Ein neues Stück Altstadt: Baustellenbesuch im Münchner Kreuzviertel

Wir haben uns auf der Baustelle der Kardinal-Faulhaber-Straße 1 und der Prannerstraße 4 im Münchner Kreuzviertel umgesehen, wo das Team aus Simon Fuchs, Tim Pollmann und Rochus Schwabenbauer ein Fünf-Sterne-Hotel hinter die historischen Mauern des Bestandsgebäudes setzt und im direkten Anschluss daran ein Geschäftshaus baut. Wir wollten wissen, welches die besonderen Herausforderungen bei diesem Innenstadtgroßprojekt sind und auf was sich München an diesem Standort freuen darf.

Immer wieder beißt sich die Zange des Longfrontbaggers durch die ruinenartigen Reste des fünften Stockwerks in der Prannerstraße 4. Das 25 Meter hohe Baugerät erinnert entfernt an einen Dinosaurier, der sich Stück für Stück durch das noch vorhandene Mauerwerk frisst, zuerst ein bisschen am Dachstuhl knabbert und dann die losen Betonstücke und Eisenverbindungen nach unten schiebt, wo sich Schuttberg neben Schuttberg auftürmt.

Projektleiter Rochus Schwabenbauer zeigt auf die verbogenen Türrahmen und Eisenbewehrungen, die dazwischen in der Sonne glitzern. Wie Stanniolpapier packt sie der Longfrontbagger und wirft sie auf einen kleinen Haufen auf der linken Seite der Baustelle. Dort in etwa wird sich später einmal der Ladehof für das Fünf-Sterne-Hotel der Marke Rosewood befinden. 132 Zimmer wird es haben hinter den denkmalgeschützten Prachtfassaden, zudem einen Spa-Bereich, ein Restaurant für 100 Gäste und eine Bar. „Alles wird von außen durch separate Zugänge erreichbar sein, sodass man als Nicht-Hotelgast nicht extra an der Hotellobby vorbeischleichen muss“, erklärt Simon Fuchs, ebenfalls Projektleiter bei diesem Großbauvorhaben.

Die Balance halten

Dort, wo heute noch der Longfrontbagger steht, also im direkten Anschluss an die historischen Gebäude der Kardinal-Faulhaber-Straße 1 und das Palais Neuhaus-Preysing, baut die Bayerische Hausbau ein Geschäftshaus mit Büroflächen und kleinen Einheiten für Gewerbe im Erdgeschoss, und dort wird eben auch der Ladehof untergebracht, der das Hotel in den Nachbargebäuden versorgen soll – mit einem eigenen Ladehofmeister, der den ganzen Tag die Anlieferungen überwacht und sicherstellt, dass die Anlieferung und die Abholung von Bettwäsche, Lebensmitteln oder Spa-Zubehör schnell und reibungslos stattfinden.

Durch den Ladehof sind die beiden Projekte, die sonst auf den ersten Blick wenig gemeinsam haben, gewissermaßen miteinander verbunden: das Luxushotel hinter der denkmalgeschützten Fassade, das von Hilmer Sattler Architekten Ahlers Albrecht aus München gestaltet wird, und der Neubau in der Prannerstraße 4 nach dem Entwurf von Diener & Diener Architekten, die ihren Sitz in Basel und in Berlin haben. „Auch wenn sie unterschiedliche Nutzungen haben, müssen wir die Projekte in der Waage halten, was die Planung und den Bau anbelangt“, sagt Schwabenbauer. „Etliche Ausschreibungen laufen für beide Projekte gleichzeitig: Abbruch, Baugrube, Rohbau. Das sind Gewerke, die wir nur im Gesamtpaket vergeben können. Es hilft nichts, wenn die Prannerstraße 4 fertiggeplant ist und bei der Kardinal-Faulhaber-Straße noch Angaben für die Rohbauausschreibung fehlen. Denn wir kommen nur über die Prannerstraße rein, um abzubrechen und später um bauen zu können. Durch die denkmalgeschützte Fassade können wir nicht durch. Das ist eine zusätzliche Herausforderung.“

Abstimmung, Koordination und Planung

Apropos Herausforderung, davon bringt das Projekt so einige mit sich. Die größte davon sei, wie Tim Pollmann, Asset Manager für das Gesamtprojekt, betont, das sehr große Team des Projekts zu steuern, das mit den beiden Planungsteams, Designern, Archäologen, dem Denkmalschutz und natürlich den internationalen Projektpartnern den üblichen Rahmen doch deutlich sprengen würde. Zu bewerkstelligen ist das alles nur mit sehr viel Abstimmungsaufwand, Koordination bis ins Detail, mehreren halbtägigen Jours fixes pro Woche und großformatigen Terminplänen in DIN A0, die mit roten, grünen, blauen und gelben Hervorhebungen gekennzeichnet sind und genau festlegen, wer wann mit wem eine Besprechung hat – und das bereits ein Jahr im Voraus.

Aber nicht nur die Abstimmung innerhalb des Teams steht bei dem Projekt im Vordergrund, aufgrund des besonderen Standortes in der Münchner Altstadt, im schmucken Kreuzviertel, nicht weit vom Marienplatz entfernt, kommt auch der Information und dem Austausch mit der Nachbarschaft eine besondere Bedeutung zu. Ende letzten Jahres hat die Projektleitung auf einer eigenen Informationsveranstaltung erklärt, was genau passieren wird und welche Straßenabschnitte wann wie betroffen sein werden. Zudem hat sie einen Newsletter eingerichtet, mit dem die Nachbarn regelmäßig über wichtige Ereignisse oder auch ganz einfach über den Baufortschritt informiert werden.

In der Prannerstraße 4 entstehen in direkter Nachbarschaft zum Hotel auf 11.000 m² Büros. 2023 soll beides fertiggestellt werden: das Hotel und die Büroflächen, die die hochwertigsten im Portfolio der Bayerischen Hausbau werden sollen, ergänzt durch Erdgeschossflächen für beispielsweise Galerien, Mode, Schmuck oder Platz für das ein oder andere Tagescafé. Bis die eröffnen können, ist noch viel zu tun.

Tagtägliche Überraschungen

Momentan wird die Baustelle aber sogar noch mit Abbruchmaterial beliefert. Da das durch den Longfrontbagger abgetragene Material nicht ausreicht, um die Ebenen zu verfüllen, auf denen später die Baugeräte stehen werden, wird derzeit mitunter das Abbruchmaterial des Projekts DAVANTO in der Gollierstraße 4 angeliefert. Mit dem Hochbau wird dann im Frühjahr 2020 begonnen.

Zuvor werden die historischen Gebäude bis auf die denkmalgeschützten Fassaden und die unter Denkmalschutz stehenden Bauteile, wie die Treppenaufgänge, den Preysing-Saal und das Vestibül, ausgehöhlt und über die Fensterhöhlen gestützt. Insgesamt bleiben 27 Prozent der Gebäude bestehen. Was nicht immer ganz einfach beim Bauen im Bestand sei, meint Schwabenbauer, sei, dass die Bestandspläne zwar schön gezeichnet seien, aber oftmals einfach nicht der Realität entsprächen. Erst neulich hätten sie Ziegelgewölbedecken gefunden, die eigentlich als Stahlbeton eingezeichnet gewesen seien. Da würden sich dann natürlich sofort statische Fragestellungen auftun, da es später ja ein Unterschied sei, ob man mit einer Stahlbetondecke auf eine massive Wand aufsetzen würde oder eben auf ein Bruchmauerwerk. So gebe es tagtäglich Überraschungen, sagt Schwabenbauer.

Eine Überraschung gab es bereits auch, als das Gebäude das letzte Mal umgebaut wurde, von 2000 bis 2005 für die HypoVereinsbank, die bis zum Verkauf an die Bayerische Hausbau 2011 Eigentümerin des Areals war. Damals neigte sich die Fassade plötzlich in Richtung Kardinal-Faulhaber-Straße, konnte aber gesichert werden. Bis heute erkennt man, wenn man genau hinsieht, dass die Fassade sich einst bewegt hat, nicht mehr ganz gerade gerückt werden konnte und an den Ecken ein bisschen hängt. Gestützt wurde das Gebäude nach dieser Schieflage mit einer engmaschigen Pfahlkonstruktion im Untergrund.

Auch mit dieser Masse an Pfählen muss der Tiefbau umgehen. Und nicht nur das: In fünf bis 15 Meter Tiefe befindet sich an dem Standort ein Bodendenkmal, mittelalterliche und frühneuzeitliche Siedlungsteile der ersten und zweiten Stadterweiterung von München sind dort zu finden. Auch wenn sich das Bodendenkmal unterhalb der Eingriffstiefe befindet, werden Archäologen beim Aushub jede Bewegung der Bagger begleiten und sämtliche Tonscherben, die dabei ans Tageslicht befördert werden, dokumentieren.

Unter Denkmalschutz

Für das gesamte Vorhaben stand die Projektleitung von Anfang an in Kontakt mit der Unteren Denkmalschutzbehörde und dem Landesamt für Denkmalpflege und stimmte sich bezüglich jedes noch so kleinen Details ab. Mitte Mai wurden beispielsweise die Figuren, die das Dach an der Ecke Pranner- und Kardinal-Faulhaber-Straße zierten, auf Anraten des Denkmalschutzes vom beauftragten Steinmetz abgenommen und für die Bauzeit eingelagert, damit an ihnen keinerlei Schäden durch Erschütterungen entstehen können. Die Verzierungen an den Dachbereichen werden dagegen nicht gesondert geschützt. Sie sollen laut Schwabenbauer sogar bewusst der natürlichen Witterung ausgesetzt werden, damit sie sich nach drei Jahren Bauzeit nicht vom Gesamtgebäude abheben. Zudem komme eine Folienverkleidung schon allein aufgrund der am Dach wirkenden Windlasten nicht in Frage.

Bereiche des Gebäudes werden voraussichtlich mit einem provisorischen Dach geschützt, ähnlich wie bei einer Ausgrabungsstätte. Im Inneren der Gebäude sind die denkmalgeschützten Bereiche, wie der Preysing-Saal, die Treppenaufgänge und das Vestibül in der Kardinal-Faulhaber-Straße, das später als Eingangsbereich des Hotels dienen wird, aus Schutzgründen bereits vermauert. Erst kurz vor der Eröffnung erfolgt dort mit abschließenden Renovierungsarbeiten der Feinschliff des Hotels. Unter Denkmalschutz steht auch die gläserne Gebäudebrücke im zweiten Stock, die von der Kardinal-Faulhaber-Straße zum Salvatorplatz 3 führt. Auch dieser Übergang wird aufgewertet und in das zukünftige Konzept integriert.

Ein Highlight dieses Projektes wird auch das gastronomische Konzept, das unterscheidet sich deutlich von dem anderer Luxushotels. Pollman sagt: „Privat würde man wahrscheinlich nie einfach ein Fünf-Sterne-Hotel besuchen, um mittags essen zu gehen oder beispielsweise dienstagabends in eine Bar zu gehen. Da sei meist die Hemmschwelle zu hoch. Aber Rosewood würde es schaffen, diese Bereiche durch separate Zugänge von außen auch für die Bewohner der Stadt und nicht nur für die Hotelgäste zu öffnen und als lebendigen Treffpunkt zu etablieren." Auf die Frage, auf was sie sich freuen, wenn das alles, was nun in den nächsten vier Jahren vor ihnen liegt, geschafft ist, antworten alle drei, als hätten sie sich zuvor abgesprochen: auf den ersten Drink an der Bar.

Aber bis dahin ist noch einiges zu tun, muss noch viel geplant, durchdacht, koordiniert, besprochen und schließlich auch gebaut werden. „Bei diesem Projekt kommt alles zusammen“, sagt Pollmann und schaut auf den Wasserfall aus Betonbrocken, den der Longfrontbagger gerade weggebrochen hat. „Neubau und historische, schützenswerte Bausubstanz, die Aufgabe, eine neue internationale Hotelmarke in Deutschland zu etablieren, und die Herausforderungen durch die Innenstadtlage. Ich glaube, auf all das kann man sich in der Summe nie ganz vorbereiten und so lernen auch wir bei diesem Projekt jeden Tag dazu.“