Zucchini und Zusammenhalt - Urban Gardening in München

Sharing Economy im Grünen: Gemeinschaftsgärten sorgen für eine natürliche Umgebung, vermitteln Wissen – und versorgen die Teilnehmer mit hochwertigen Lebensmitteln. Welche Rolle spielen sie also für die Stadt der Zukunft? Journalisten des PresseClubs München haben im Rahmen des Fachgesprächs der Bayerischen Hausbau beim Projekt StadtAcker vorbeigeschaut - zwischen Rhabarberstängel und Bienenstock.

Einen Hauch von Stolz kann man dem Gesicht von Konrad Bucher gerade nicht absprechen. „Hier habe ich letzte Woche einen Schwalbenschwanz entdeckt“, sagt er und blickt auf den Grünstreifen voller Wildblumen, der sich vor seinen Augen erstreckt. Der Schwalbenschwanz ist einer der größten Tagfalter Mitteleuropas, seine auffällige Färbung ist ein echter Hingucker. Das Tier ist zwar nicht mehr gefährdet, aber eher auf offenen Wiesen und Heiden im ländlichen Raum zu finden. Hier, inmitten klotziger Neubauten im Norden Schwabings, ist seine Ankunft dann doch so etwas wie ein kleines Wunder. Ein Wunder, das nicht auf Zufall beruht.

Ein hölzernes Gartentor trennt die Wildblumen vom eigentlichen Herzstücks dieses grünen Eilands am Ackermannbogen: der Gemeinschaftsgarten. Während Konrad Bucher (Foto oben) durch die Parzellen führt, versteht man ziemlich schnell, warum sich der Schwalbenschwanz hier so wohl fühlt. Links und rechts vom Weg breiten sich kleine Äcker aus, die vorgezogenen Pflanzen wurden bereits fast überall gesetzt und überlagern mit ihrem satten Grün die braune Erde. Hier und da knien Menschen in den Äckern und entfernen Unkraut. Dort werden noch Buschbohnen gesät, weiter hinten erntet eine Gruppe schon zufrieden den Rhabarber. Dazwischen allerlei Sträucher und kleine Bäume.

Die Ernte könnte groß ausfallen

All der grünen Idylle zum Trotz: „Die Gemeinschaft ist hier das eigentliche Thema“, sagt Bucher. Der Landschaftsarchitekt ist in Teilzeit als Koordinator des Stadtackers angestellt und stellt für alle Gartelnden den ersten Ansprechpartner dar. Mit seiner gärtnerischen Expertise sorgt er dafür, dass bei so viel Gemeinschaft auch wirklich etwas Essbares am Ende herauskommt. Die Gruppe erfreut sich so an einer bunten Vielfalt an Gemüse: Zucchini, Kürbisse, Tomaten, Mais, allerlei Kohlsorten – um nur einige wenige zu nennen. Dieses Jahr bauen sie hier auch die Inkawurzel Yacon an. „Wir probieren immer alles Mögliche neu aus“, sagt Bucher. Wie viel dabei am Ende herauskommt, könne er aber nicht sagen, eine Erntezählung hätten sie bislang immer versäumt. „Das wollen wir dieses Jahr machen.“ Fest steht jedenfalls: „Es ist wirklich viel.“

 

München-Schwabing: grüne Oase in urbanem Rahmen.

Das fertige Gemüse können die Gartelnden sich selber aus dem Lager holen oder auch direkt aus der Erde pflücken. Dabei wird klar auf Ehrlichkeit und Solidarität gesetzt, denn das individuelle Arbeitspensum soll sich auch halbwegs im Ertrag widerspiegeln. Dazu veranstaltet die Gruppe, derzeit sind es rund 70 Aktive, in der Erntezeit regelmäßige Kochabende, an denen jeweils ein Gemüse im Vordergrund steht. Durch die Arbeit sei bei den Teilnehmern nochmal eine besondere Wertschätzung für Lebensmittel entstanden, wie Bucher sagt. Denn es ist schlicht und ergreifend ein anderes Gefühl, wenn man das Gemüse erntet, das man zuvor selber gesät und gepflegt hat. Der Griff in die Erde ist nicht mit dem Griff in die Kiste im Supermarkt zu vergleichen.

Der Gemeinschaftsaspekt wird indes auch in der Organisationsstruktur abgebildet. Hier werden keine Parzellen einzeln verteilt, die Arbeit wird stattdessen verschiedenen Themengruppen zugewiesen. Eine Gruppe kümmert sich so um das Gemüse, eine um Kompost und Boden, eine andere um Beeren und so weiter. Die Übergänge sind hier fließend, die Zusammensetzung der Gruppen ändert sich ebenfalls von Jahr zu Jahr. Die Arbeitslast wird dabei gerecht auf alle Schultern verteilt, wie Dietlind Klimm sagt: „Hier muss nicht jeder ackern.“ Sie sei heute auch nur zum Himbeeren hochstecken da, erklärt sie lächelnd. Für den Koordinator Bucher überhaupt kein Problem: „Hier ist jede Art von Arbeit willkommen.“

Biodiversität vorleben

Gegärtnert wird hier nach ökologischen Kriterien: Pestizide, Kunstdünger oder Hybrid-Samen kommen im StadtAcker nicht zur Verwendung. Die Gemeinschaft verfolgt dazu eine klare Biodiversitäts-Strategie. Hier soll eine urbane tierische und pflanzliche Vielfalt entstehen, der angebliche Gegensatz zwischen Stadt und Natur aufgelöst werden. Deswegen pflanzen die Teilnehmer rings um ihren Garten eine bunte Sammlung an Wildblumen an, die schließlich Tiere wie den Schwalbenschwanz anlocken. Außerdem haben sie hier zwei Nisthilfen für Wildbienen.

 

Claudia Vallentin ist Sprecherin der Themengruppe Kräuter.

Biodiversität werde zwar von der Politik propagiert, wie Konrad Bucher sagt, konkret in die Tat umgesetzt werde aber noch viel zu wenig. Deswegen wollen sie hier „von unten“ handeln, Biodiversität mitten in der Stadt vorleben, zeigen, was alles möglich ist. Dafür sind sie im StadtAcker auch mit den anderen urbanen Gärten der Stadt vernetzt. Gut 100 davon gibt es in München – und es werden immer mehr. Das Netzwerk „Urbane Gärten München“ betreibt seit rund zehn Jahren Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, veranstaltet Workshops und macht sich für die Belange der Gärten bei der Stadt stark.

Davon profitiert auch der StadtAcker, die Stadt München finanzierte die Gründung des Gemeinschaftsgartens und auch danach flossen noch Förderungen und Zuschüsse. Für das kommende Jahr jedoch kürzt die Stadt die Förderung. Dann werden die Mitgliedsbeiträge, die über den als Träger fungierenden Quartiersverein Ackermannbogen e.V. im Garten landen, noch wichtiger. Ob es hier aber am Geld scheitern wird? Unwahrscheinlich, denn für die Gartelnden ist der StadtAcker aus ihrer Nachbarschaft nicht mehr wegzudenken.

Claudia Vallentin ist Sprecherin der Themengruppe Kräuter, schon seit einigen Jahren kümmert sie sich um Basilikum, Petersilie oder Kamille. Das Label „Expertin“ möchte sie sich nicht verpassen; wenn sie aber über die speziellen Eigenschaften jedes einzelnen Krauts referiert, wird dann doch klar, dass Vallentin hier einiges gelernt hat. Zumal sie im StadtAcker ohne jegliche Vorerfahrung begonnen hat. „Ich hatte vorher noch nie einen Garten“, sagt sie. Jetzt aber scheint das Projekt bei ihr eine Leidenschaft entfacht zu haben. Auch bei den Kräutern probieren sie sich hier Jahr für Jahr neu aus, allein sieben verschiedene Minzsorten sollen es diesmal werden. Neben alljährlichen Pesto-Abenden machen die Gartelnden aus ihren Kräutern vor allem Heilsalben. Vallentins Tipp: Eine entzündungshemmende Salbe aus Beinwell, vor allem gut bei Rückenschmerzen. „Das hilft total“, versichert sie.

Auch ein gemeinsames Kochbuch gibt es

Es ist auch dieser Lerneffekt, der für die Teilnehmenden einen besonderen Aspekt des Gemeinschaftsgartens darstellt. Nach Jahren des Säens, Ackerns und Ernterns sind dem Projekt Dutzende begeisterte Hobbygärtner entsprungen – die dank der fachkundigen Leitung Konrad Buchers nicht nur Leidenschaft, sondern auch viel Expertise vorweisen können. „Man lernt gemeinsam und gibt das Wissen schließlich weiter“, sagt der Koordinator. Freunde und Familie profitieren hier also nicht nur von übrig gebliebenen Zucchini, sie können auch aus dem Wissensschatz schöpfen, der sich am Ackermannbogen angehäuft hat. Ein gemeinsames Kochbuch mit Rezepten aus dem StadtAcker haben sie schon veröffentlicht.

Gemeinschaftsförderung, Nachhaltigkeit, Wissensvermittlung – die Vorteile urbaner Gärten liegen auf der Hand. Sollten sie als Aspekt einer Sharing Economy in der städtebaulichen Zukunft nicht also eine größere Rolle spielen? Konrad Bucher stimmt da im Prinzip zu, gibt aber auch zu bedenken: „Mit der Fläche allein ist es nicht getan.“ Es brauche daneben auch eine soziale Infrastruktur: Gemeinsame Räume, ein Lager, eine Küche und dergleichen. Vor allem aber ein Team an engagierten Leuten, die das Projekt aufbauen und aufrechterhalten. Denn aller Romantik zum Trotz ist so ein Gemeinschaftsgarten auch viel Arbeit. An Motivation mangelt es hier im StadtAcker jedenfalls am wenigsten – zum Glück ist das ansteckend.

Autor

Niccolò Schmitter ist Gartenarbeit nicht fremd. Mit seiner Wohngemeinschaft bestellt er außerhalb von München ein Feld, wo sie allerlei Gemüse anbauen. Das beschert ihnen nicht nur volle Vorratsschränke, sondern auch mehr Freude, als er vor dem gemeinsamen Projekt gedacht hätte.

Fotograf

Finn Winkler kann nach zwei Jahren Homeoffice das Glücksgefühl nachempfinden, eigenes Gemüse in einer Gemeinschaft anzubauen. Er hofft, dass Städteplaner in Zukunft mehr Raum für solche Projekte einkalkulieren.